Reisebericht Teneriffa

Teneriffa - Die schrecklich Schöne


Von Horst Blume

Teneriffa ist schrecklich schön. Oder anders gesagt: schrecklich und schön. Von dem Flughafen Teneriffa-Süd führt eine Autobahn in den Norden zur Hauptstadt Santa Cruz und verbindet dann – in Vielem einer dichtbefahrenen Ruhrgebietsautobahn ähnelnd – die Städte La Laguna und Puerto de la Cruz. Hier ist fast jeder Quadratkilometer bebaut. In Puerto sind 30stöckige Hotelanlagen keine Seltenheit. Trotzdem eignet sich dieser Ort sehr gut als Standort und Ausgangspunkt für die zahlreichen Exkursionen und Wanderungen auf der Insel. Denn in Puerto ist es auch schön, weil es teilweise an Hängen liegt und interessante Ausblicke gewährt. Stimmungsvolle, mit alten Gebäuden umrahmte Plätze mit Palmen und Gaststätten im Schatten der abschreckenden Wolkenkratzer sorgen für einen eigenartigen Kontrast. Puerto hat dank unzähliger Bausünden ein doppeltes Gesicht. Der alles überragende, mit 3718 m höchste Berg Spaniens dominiert den Blick ins Landesinnere – wenn nicht die Wolken den Blick auf ihn verhüllen. Und das passiert ziemlich oft.

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Verkehrsmittel und Wandern

"Ein Mietauto muss her, ein Mietauto!" – diese hochwichtigtuerische Betriebsamkeit bei Vermittlung und Übergabe eines fahrbaren Untersatzes ging mir ziemlich auf den Keks und ist für Teneriffa unnötig. Auch wenn das Benzin dank EU-Subventionen (Begründung: "extreme Randlage in Europa", wie lächerlich!) spottbillig ist. Es existiert hier ein hervorragendes Bussystem, das bis ins allerletzte Dorf vordringt. Die Busse sind oft klimatisiert, also innen sehr kalt (Pullover mitnehmen). Durch ein Bonuskartensystem senkt sich der niedrige Buspreis nochmal; nur die Busfahrer "verwechseln" öfters Ein- und Zwei-Euromünzen zu ihren Gunsten.

Wandern in den Bergen

Wandern in den Anaga Bergen

Wandern im Norden von Teneriffa

Blick vom Anagagebirge auf das Meer

Um in die umliegenden Gebirge und Küstenabschnitte zu reisen und zu wandern, empfiehlt es sich, sich den zahlreichen geführten Wanderungen anzuschließen. Denn "Heidi, Jörg, Marion, Sabine, Giorgio und Gregorio" haben die schönsten Ecken schon ausgekundschaftet und das Timing der Wanderungen mit dem Bussystem in Einklang gebracht. Für 20 Euro mit allem Drum und Dran ist das recht günstig, man muss sich nur noch die Wanderungen auf den zahlreichen in den Hotels ausliegenden Faltblättern aussuchen. Die naturkundlichen Erklärungen während der Wanderungen sind für Inselneulinge oft recht interessant, die Historisch-politischen manchmal eine einzige Katastrophe: Der Diktator Franco war beispielsweise zwar irgendwie ein "schlechter Mensch", aber er hatte ja immerhin die Blindenlotterie eingeführt – der deutsche Stumpfsinn verfolgt einen in der abgewandelten Form von "Hitler und seine Autobahnen" bis auf den letzten Teneriffa-Gipfel!

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Orotava

Unbedingt empfehlenswert ist ein Ausflug nach La Orotava, das in nur einer guten halben Stunde mit dem Bus erreichbar ist. Das fruchtbare Orotava-Tal liegt schon einige hundert Meter hoch und von hier aus hat man hat einen hervorragenden Ausblick auf das Meer und die Berge. Hinzu kommt, das das belebte Städtchen auf eine lange Geschichte zurückblicken kann und über einen sehr gut erhaltenen historischen Stadtkern verfügt. Hier hat es sich seit Jahrhunderten die einheimische Aristrokratie gutgehen lassen.

Orotava Altstadt Café

Orotava Altstadt

Altstadt Café Orotava

Mehrere Stunden kann man durch die Gassen, kleineren Garten- und Terrassenanlagen und über einige Plätze streifen. Besonders beeindruckend sind die reichverzierten Holzbalkone und die einzusehenden bepflanzten Innenhöfe mit ihren Innengängen aus Holz. Hier ist ohne Zweifel einer der schönsten Orte der Insel. Verglichen mit dem Massentourismus der Sonnenhungrigen an der Südküste halten sich die Besucherscharen (zumindest im September) in Grenzen.

Oberhalb der Stadt herrscht die Landwirtschaft mit dem Anbau von Wein, Kartoffeln und Gemüse vor. Und nach etlichen Kilometern beginnt die Gebirgszone des Teide – ein Kapitel für sich, das hier nicht behandelt wird.

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Botanischer Garten in Puerto

Auf dem Rückweg nach Puerto am Nachmittag empfiehlt es sich, gleich am Ortseingang von Puerto im Stadtteil La Paz aus dem Bus zu steigen, um für 3 Euro den sehenswerten Botanischen Garten zu besuchen. Er ist bis 19 Uhr geöffnet. Der bereits 1788 angelegte Garten diente früher als Zwischenstation für Pflanzen auf dem Weg von den Tropen nach Spanien. Neben den vielen Pflanzen und Blumen sind der schöne Seerosenteich und der große Riesengummibaum mit seinen bizarren Luftwurzeln die Attraktion. Der schattige Garten liegt direkt neben der Hauptstraße, was man teilweise auch hört.

Botanischer Garten

Im Botanischen Garten

Luftwurzeln des Riesengummibaums Seerosen im Botanischen Garten

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Das Anagagebirge und das Wetter

In diesem bis zu 1024 Meter hohen Gebirge ist es oft wolkig und windig, womit wir beim Wetter auf Teneriffa sind. Der Süden ist – na klar – meist sonnig, der Rest komplizierter. Das Wetter der Kanaren wird sehr stark vom Nordost-Passatwind geprägt. Die Berge der Inseln stellen Hindernisse für die anströmenden unteren Luftmassen dar, sodass sich durch den Anstieg der Luftfeuchtigkeit Wolken bilden, die sich hier zu einem Wolkenmeer stauen. Durch die Winde werden sie über die Gipfel gedrückt. Hinter den Gebirgskämmen sinken die Wolken wieder und lösen sich durch die erhöhte Temperatur wieder auf: auf dieser Seite bleibt es recht trocken und vegetationsmäßig karg. Vor dem Gebirgskamm jedoch können sich große Lorbeerwälder entwickeln. Es gibt bis zu 20 Lorbeerbaumarten, deren Blätter allerdings nicht für Gewürzzwecke geeignet sind. Durch die Windbewegung wird der Nebel an den Bäumen vorbeigeführt und feine Tröpfchen setzen sich ab und tropfen auf den Boden. Verstärkt wird dieser Effekt noch doch die von den Zweigen herunterhängenden Flechten und Moose. Das Wasser sammelt sich in unterirdischen Felsstollen und stellt bis heute die wichtigste Wasserquelle Teneriffas dar. Selbstverständlich ist diese Quelle durch intensiven Raubbau (sprich anbohren und abpumpen) bedroht. Tourismus und wasserverschwendende Bananenplantagen sorgen dafür.

Das Anagagebirge

Das Anagagebirge

Anagagebirge

Busstation mit Gaststätte

Etwas oberhalb der Lorbeerwaldzone wachsen die Kanarenkiefern, die bis zu 30 cm lange Nadeln haben. Auch hier wird aus dem Nebel Wasser "herausgekämmt".

Bei so vielen Wolken muss also mit Regen und nicht so idealem Fotografierwetter gerechnet werden. Aber auch eine Wanderung durch einen gespenstigen Nebelwald kann ein Erlebnis sein! Die zerklüftete Berglandschaft sieht toll aus und die Wege sind teilweise recht steil. Die Bewohner dieser einsamen Gegend mussten früher stundenlange Fussmärsche auf sich nehmen, um zur nächsten Busstation zu gelangen. Erst in den letzten zwanzig Jahren sind hier einige Straßen gebaut worden.

Von Puerto de la Cruz gelangt man in das Anagagebirge, indem mensch mit dem Bus in die ehemalige Inselhauptstadt La Laguna fährt. Dort an der Autobahn das erste Mal einigermaßen orientierungslos aussteigt, um dann einfach mit der großen Masse der Menschen die 3 Minuten zum großen Busbahnhof geht, um hier mit der passenden Buslinie weiterzufahren. Ebenfalls führen von La Laguna aus Straßen in den südöstlich gelegenen Esperanzawald, ebenfalls ein Gebirge mit interessanten Ausblicken auf den höchsten Berg Pico del Teide.

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Garachico, Icod de los Vinos und der Drachenbaum

Wer keine Lust mehr hat im Gebirge herumzukraxeln, der sollte sich in den Bus setzen und nach Garachico fahren, um die Küstenlandschaft vom Nordwesten Teneriffas näher kennenzulernen. Vorbei geht es an kleinen und größeren Dörfern und unzähligen felsigen Buchten bis man nach etwa 90 Minuten ankommt. Ich steige aus und stehe vor einem Rock-pool. Das sind durch Lavagestein abtrennte Wannen im Gezeitenbereich des Ufers, an dem von Menschenhand etwas herummodelliert wurde, um ein Freizeitbad am Meer zu erschaffen. Der Rock-pool entstand 1806, als der Lavafluss des ausgebrochenen Vulkans Teide sich ins Meer ergoss und auch bei Ebbe wassergefüllte Becken ermöglichte.

Das heute recht ruhige Städtchen war vor drei bis vierhundert Jahren die bedeutendste Hafenstadt Teneriffas. Bis 1706 ein Vulkanausbruch den Hafen zerstörte. Einige schöne Hauser und komfortable Gebäude sind aber erhalten geblieben. Einen wunderschönen Ausblick bietet eine kleine Straße etwas oberhalb der Stadt. Auf dem gemütlichen "Plaza de la Libertad" steht eine Statue von Simon Bolivar (1783 – 1830), den berühmten lateinamerikanischen Freiheitskämpfer gegen die Kolonialmacht Spanien. Der Befreier Venezuelas soll angeblich aus Garachico kommen. Etliche Kanaren bezeichnen ihr Land auch heute noch als ausgebeutete "Kolonie" Spaniens. In den letzten ein- bis zweihundert Jahren haben insgesamt 300.000 Menschen die Kanaren verlassen und sind nach Venezuela, dem geographisch nächstgelegenen lateinamerikanischen Staat, ausgewandert. Deswegen gibt es heute vielfältige Beziehungen zu Venezuela. Straßennamen und Läden weisen ebenso darauf hin wie Wandmalereien "Chavez Presidente!", die die Verbundenheit mit dem von den USA erbittert bekämpften linken Präsidenten und Hoffnungsträger Venezuelas demonstrieren sollen.

Wenn wir wieder ein paar Kilometer zurück in Richtung Puerto fahren, gelangen wir in die Stadt Icod de los Vinos. Hier gibt es einige ausgespochen sehenswerte Plätze und Gärten, die für Feste besonders schön hergerichtet werden. Ganze Heerscharen von Touristen kennen hier jedoch nur ein einziges Ziel: den ältesten Drachenbaum der Welt! Er ist 17 Meter hoch und hat einen Stammumfang von 6 Metern. Allerdings ist das botanische Unikum nicht wie behauptet eintausend, sondern nur 300 bis 400 Jahre alt. Und ist überhaupt kein Baum, sondern ein Liliengewächs oder eine Agave, darüber streiten die Gelehrten. Die keulenförmig angeschwollenen Äste verzweigen sich bis zur Krone, wo sich schwertlilienartige Blätter in Büscheln zu einer Art Schirm ausbreiten. Die kanarischen Ureinwohner nutzten den bei Verletzungen aus der Pflanze austretenden Saft zum einbalsamieren der Toten. Später wurde der Saft als Heil- oder Färbemittel genutzt. Durch übermäßiges Anzapfen ist der Baum zeitweise recht selten geworden. Heute steht der Drachenbaum in zahllosen Gärten und an einigen Stellen im Anagagebirge. Außerhalb der Kanaren kommen Unterarten nur noch recht selten im Yemen, Ostafrika und im Anti-Atlas südlich von Agadir in Marokko vor.

Garachico

Drachenbaum

Garachio

Drachenbaum

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Die Guanchen

Auf Bildern, Wandmalereien und Dekofliesen wird auf Teneriffa vielfach auf die Ureinwohner der Insel hingewiesen. Es ist unter den Wissenschaftlern immer noch umstritten, wann genau die Guanchen die kanarischen Inseln besiedelt haben. Es wird angenommen, dass die östlichen Kanaren etwa 2000 vor unserer Zeitrechnung und Teneriffa erst 800 Jahre vor dem Jahre Null besiedelt wurden. Es handelte sich offensichtlich um Berberstämme, die in mehreren Wellen von Afrika kamen.

Ob es nun europäische "Aussteiger" sind oder bestimmte traditionsbewusste Kanaren – ihnen gemeinsam ist die Verklärung der Guanchen als "edle Wilde", die in ihrer Vorstellung im Einklang mit der Natur lebten. "Es heisst, sie seien friedfertig gewesen, jedoch galten sie auch als tapfere Verteidiger ihrer Heimat" schreibt Jose Luis Concepcion in der 23. Auflage des auch auf deutsch erschienenen Buches "Die Guanchen". So etwas Banales wird immer wieder gerne aufgegriffen, obwohl es sehr widersprüchliche Aussagen sind, wenn wir den Satz weiterlesen: "man schreibt ihnen Grossmütigkeit zu, mitfühlend waren sie und auf ihre Versprechen war Verlass". Sehr friedfertig erscheint es mir nicht, wenn der Autor die brutalen Strafen wie Augenausreißen, Steinigung und Hinrichtung durchexerziert. Die lädierten Schädelfunde zeigen überdeutlich, dass sich die Guanchen Denselbigen gegenseitig oft genug selbst eingeschlagen haben. In der Zeit von 1402 bis 1492 wurden die Guanchen von den Spaniern durch mehrere Kriege niedergerungen, teilweise versklavt, kolonisiert und bekamen den richtigen Glauben verpasst. Im Laufe der Jahrhunderte vermischten sich die beiden Bevölkerungsgruppen. Trotzdem glauben besonders eifrige Rassenforscher auch heute noch erkennen zu können, wer zu dem auserwählten Urstamm der "edlen Wilden" gehört – wenigstens ein bischen.

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Santa Cruz

In dem großen archäologischen und naturwissenschaftlichen Museum der Inselhauptstadt Santa Cruz beschäftigt sich eine eigene Abteilung mit Ausgrabungen und wissenschaftlicher Darstellung des Lebens der Guanchen. Ein Besuch ist sehr lehrreich. Die Informationsvermittlung kommt in einem avantgardistischen Design daher; das Bauwerk selbst ist eines der wichtigsten im klassizistischen Stil auf der Insel. Der Eintritt ist mit 3 Euro sehr moderat.

Den großen Busbahnhof verlassend sieht mensch nicht nur ein seltsam futuristisches, helmartig geformtes Bauwerk, sondern auch den neuen riesigen Konsumtempel mit mehreren Stockwerken. Für eine Stadt mit gut 200.000 Menschen und einer gewachsenen urbanen Struktur aus kleinen Gassen und Läden ist der Betonklotz reichlich überdimensioniert und in den ökonomischen und ökologischen Auswirkungen katastrophal. Folglich ruft die rührige anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT (siehe ausführliche Darstellung unter Mallorca!) zum Boykott auf.

Markthallen in Santa Cruz
Die Markthallen in Santa Cruz

Für einen Bummel durch die sehenswerte Stadt sollte mensch sich einen ganzen Tag Zeit nehmen. Viele Plätze laden zum Verweilen ein. Besonders Vormittags ist der Besuch der im maurischen Stil erbauten Markthallen empfehlenswert.

Hier in der Inselhauptstadt zeigt sich genauso wie beim Rest der Insel, dass der Bauboom der letzten Jahrzehnte trotz aller wohltönenden Absichtserklärungen der Politiker eine echte Plage darstellt und die verbliebenen Vorzüge Teneriffas systematisch zerstört. Um dem Einhalt zu gebieten, haben sich mehrere grüne Gruppierungen auf den Kanaren zu einer Grünen Partei zusammengeschlossen. Sie wollen bei der Kommunalwahl 2007 ein Wörtchen mitreden. Das wäre im Sinne der Umwelt sicherlich nicht schlecht, jedoch: Bei der Bepflanzung zur Aufwertung von bisher benachteiligten Zonen wollen die Grünen Arbeitslose einsetzen. Wenn diese ähnlich wie bei den als Vorbild patestehenden bundesdeutschen Grünen als lohnlose Sklavenarbeiter missbraucht werden sollten, wäre auch dies sehr unsozial.

Puerto in Wolken

Puerto im Sonnenuntergang

Blick Richtung Süden auf Puerto Richtung Norden

Interessante Neuigkeiten über Teneriffa erfährt die recht zahlreiche "deutsche Gemeinde" auf der Insel durch die im vierzehntägen Rhythmus erscheinende "Wochenzeitung" und die "Teneriffa Nachrichten" (1). Wer sich vor seinem Urlaub genauer Informieren will, findet hier viele Artikel.

Horst Blume

(1)

www.teneriffaanzeiger.de

und 

www.wochenspiegel-kanaren.com

 

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