Reisebericht Breslau

Ein Spaziergang


Von Horst Blume

Die meisten Städtereisenden nach Polen haben das berühmte Krakau als Ziel. Aber wer etliche Stunden der reichlich unbequemen Autobahnfahrt sparen will, der hält vielleicht besser schon in Breslau. Blick auf den RynekHier ist die Altstadt nicht ganz so gross wie in Krakau. Und nicht ganz so überlaufen. Die Übernachtungen sind nicht ganz so teuer. Warum also nicht?

Wer meint, er könne nach über 60 Jahren aus der ehemaligen Zugehörigkeit Breslaus zum Deutschen Reich ableiten, dass hier immer noch viel Deutsch gesprochen wird, der irrt. Hier leben so gut wie keine Deutschen mehr. Steine können zwar viel sagen, aber nicht sprechen.

Die Außenbezirke Breslaus bestehen zu einem grossen Teil aus höheren Plattenbauten, die entlang der staubigen verkehrsreichen Straßen aneinandergereiht sind. Aber auch hier bietet sich ein relativ dichtes und preisgünstiges Strassenbahnnetz als Fortbewegungsmöglichkeit an.

Der mit Abstand grösste Publikumsmagnet ist in der Innenstadt der Ring, auf polnisch Rynek genannt. FreskenDieser im Jahre 1241 entstandene nahezu rechteckig angelegte Marktplatz wird von Einheimischen und Touristen gleichermassen besucht. Hier steht das markante alte Rathaus mit der astronomischen Uhr aus dem Jahre 1580. Lange prachtvolle Häuserreihen beherbergen unzählige Gaststätten, Cafes und Geschäfte. Man kann viele Stunden oder ganze Tage damit verbringen, um die Fassaden mit ihren reichhaltigen Verzierungen auf sich wirken zu lassen. Besonders interessant ist das Haus der Kurfürsten an der Westseite. LaterneHier kann man auf ockerfarbenem Grund die Fresken des italienischen Künstlers Giacomo Scianzi aus dem Jahre 1672 bewundern.

Ein Teil der Häuser am Ring ist vom Krieg verschont, ein anderer Teil aufwändig restauriert worden. In der Nähe eines städtebaulich eher modern konstruierten, länglichen Brunnens befinden sich viele Bänke, auf denen man dem regen Treiben zusehen kann. Besonders abends wird gerne flaniert. Künstler und Feuerschlucker ziehen von Gaststätte zu Gaststätte und bieten den draussen sitzenden Gästen und den Zuschauern ein abwechslungsreiches Programm. Auffallend auf diesem Platz sind ebenfalls die üppig verzierten Laternen, die für sich allein schon ein interessantes Fotomotiv sind. 

Breslau bei Google Maps

Rathaus

Rynek

Hinter dem Rathaus befindet sich das dichtbebaute Innere des Ringes, in dem früher die Händler und Handwerker ihre Waren anboten. Die Synagoge wird erneuertAn der ul. sw. Mikolaja, der Nordseite des Ryneks stehen vor der hohen Elisabethkirche zwei kleine, durch einen barocken Torbogen fotogen verbundene klein wirkende Häuschen; im Volksmund Hänsel und Gretel genannt. Wenige hundert Meter vom alten Rathaus entfernt befindet sich im Zentrum das Mendelsohn-Haus, welches 1912 in "moderner" Bauweise errichtet wurde. Das Mendelsohn HausDas sechsstöckige Gebäude mit den markanten horizontalen Rundungen diente früher als Kaufhaus und steht im Kontrast zur mittelalterlich geprägten Nachbarschaft. Heute scheint es teilweise leerzustehen.

Nur wenige Meter südwestlich des Ringes schließt sich der Plac Solny, der Salzmarkt an. Er ist kleiner, überschaubarer und ebenfalls von schönen alten Häusern umgeben. Mehrere Blumenpavillions befinden sich in seiner Mitte. Einige tangierende Einbahnstraßen bewirken, dass es hier etwas hektischer und lauter zugeht. Wer am äußersten Ende des Platzes einen versteckt liegenden Gebäudebogen durchquert und weitergeht, kommt an eine pulsierende Verkehrsstraße. Von hier aus kann man etliche hundert Meter weiter einen unscheinbaren Torbogen an der Häuserfront der sw. Antoniego sehen.

Synagoge

Hier ist der Eingang zur einzigen erhalten gebliebenen jüdischen Synagoge Breslaus. Die jüdische Gemeinde Breslaus hat nur noch 300 Mitglieder. Neben Garagen und einem angrenzenden Hinterhof gelegen, hinterlässt das im klassisistischen Stil erbaute Gotteshaus einen traurigen Eindruck - obwohl Gerüste deutlich anzeigen, dass hier renoviert wird. Es wird noch mindestens zwei Jahre dauern, bis alles fertig ist. In den angrenzenden Gebäuden befindet sich das Gemeindezentrum und das koschere Restaurant "Sarah". Neben der Synagoge befindet sich an der Hinterhof-Wand eine Gedenktafel, auf der steht: " Von diesem Platz sind in den Jahren 1941 - 1944 die Breslauer Juden durch die Nationalsozialisten in die Vernichtungslager deportiert worden. Wir wollen es niemals vergessen!

Um den Neuen Jüdischen Friedhof zu besuchen, setze ich mich in die Straßenbahn der Linie 22 und fahre fast eine halbe Stunde lang stadtauswärts. Links von der Straßenbahn sind unzählige Hochhäuser aneinandergereiht, rechts ist nach einiger Zeit ein parkähnlicher Wald zu sehen. Ich frage die Menschen in der Bahn nach dem jüdischen Friedhof und zeige das dazu passende Bild. Alle schütteln den Kopf, ich steige aus und auch an der Haltestelle weis niemand etwas. Zufuß weitersuchend wird mir bewusst, dass die Polen hier auch erst seit wenigen Jahrzehnten zuhause sind und bestimmte historische Stätten nicht unbedingt als die Ihrigen ansehen.

Der neue jüdische Friedhof

Der alte jüdische Friedhof

Und einen jüdischen Friedhof, auf dem hauptsächlich Deutsche begraben wurden, noch viel weniger. Schließlich fand ich das Eingangstor, etwas zurückgesetzt an der ul. Lotnicza 51.

Ich trete ein in die ganz eigene Welt des untergegangenen deutschen Judentums. Obwohl als "neuer" Friedhof bezeichnet, ist er seit Jahrzehnten kaum mehr gepflegt worden und wird überragt von hohen Bäumen. Unten die teilweise verwitterten und halbverfallenen Grabstätten. Efeuumrankte, schiefstehende Grabsteine, auf denen nur noch vereinzelt von Besuchern abgelegte Steinchen zu sehen sind.

Ich gehe auf das zentralgelegene runde Denkmal zu und lese die Inschrift: "Erschlagen auf den Hoehen. Zum Gedächtnis der im Kriege 1914 -- 1919 gefallenen Gemeindeangehörigen." Zwanzig Jahre bevor der Faschismus die deutschen Juden vernichtete, haben viele von ihnen für seine militaristischen und deutschnationalen Vorläuferorganisationen im Krieg gekämpft und dabei ihr Leben gelassen. Wie fatal! Und wie merkwürdig, hier in Polen daran erinnert zu werden.

Während ich weitergehe, sorgt die Nachmittagssonne in dem Gräber-Wald für scheinwerferartige Lichteinfälle, die im Kontrast zu den überwiegenden schattigen Flächen stehen. An der Friedhofsmauer tragen haushohe tempelartige Säulen Dächer; tiefe Risse mahnen zur Vorsicht. Steinerne Papierrollen künden von Trauer und Abschied.

Jetzt nähere ich mich einem länglichen Gerippe aus Eisen und Stein, umgeben von armdickem Efeu und menschhohem Kraut -- dies war einmal die Leichenhalle. Glaslose, hohe Fenster. Die verrosteten Seitentüren stehen halboffen. Wieviele Trauergäste sind hier während der ganzen Jahre durch den langen Flur gegangen? Und jetzt ist alles leer hier.

Die Trauerhalle

Die Trauerhalle auf dem Friedhof

Während ich mit dem Fotografieren beschäftigt bin, schrecke ich plötzlich durch ein Geräusch hoch. Ein Friedhofsarbeiter schultert hastig sein Fahrrad, quert den Gebäudegang durch die beiden Seitentüren und ist schon wieder weg. Eine unwirkliche Szene. Ich gehe zurück durch ein verwüstetes Gräberfeld in Richtung Ausgang. Einige wenige neu angelegte Gräber zeigen mir hier, dass das jüdische Leben in Breslau nach dem Holocaust immer noch ein Schattendasein fristet.

Es gibt noch einen weiteren jüdischen Friedhof, der leichter zu finden und ebenfalls mit der Straßenbahn zu erreichen ist. Der Alte Jüdische Friedhof an der u. Slezna 37 hat sogar ein Hinweisschild und einen Pförtner, der ein kleines Eintrittsgeld kassiert. Hier liegt vorwiegend die Prominenz. Schriftsteller, bekannte Kaufleute, Wissenschaftler, Politiker. Dementsprechend pompös sind die Grabstätten ausgestaltet. Der Wald ist etwas lichter und die Wege sind gepflastert. Ein ausnahmsweise schlichter Stein verkündet vieldeutig "Süß ist des Arbeiters Schlaf".

Trauerhalle Maurischer Stil auf Breslaus altem jüdischen Friedhof

In der Reiseliteratur vielfach hervorgehoben wird das hier befindliche Grab des ersten Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Ferdinand Lassalle wurde 1825 in Breslau geboren. 39jährig starb er allerdings nicht im Kampf für die gerechte Sache der Lohnabhängigen, sondern er zog bei einem dünkelhaft-burgoisen Duell den Kürzeren. Er war eben ein echter sozialdemokratischer "Revolutionär". Nach der Wende kamen führende SPD-Politiker nach Breslau und polierten seine Grabplatte. Ich wandte mich also lieber ab und ging auf das auffällig buntgekachelte "Haus" der Familie Kauffmann zu. Es ist im für die sephardischen Juden typischen mauretanischen Stil gebaut worden. Sehr ungewöhnlich für diese Gegend.

Jetzt habe ich aber genug von Friedhöfen und wende mich einer architektonischen Bedeutsamkeit zu, die nördlich der Oder liegt. Es handelt sich um die 1913 fertiggestellte Jahrhunderthalle (hoher Eintritt!). In ihr fanden nicht nur bedeutende Ausstellungen statt, sondern hier ist die größte Orgel der Welt für die Halle konstruiert worden. Zum Auftakt der Eröffnung wurde ein Stück von Gerhard Hauptmann gespielt. Rund um die Jahrhunderthalle liegt eine Parklandschaft mit einem sehr großen Flachteich und halbrunden, berankten Arkaden. Von weitem sieht die Halle aus wie eine in die Jahre gekommene fliegende Untertasse, die hier gelandet ist. Hinter ihr befindet sich ein weiteres Denkmal: Eine 86 Meter hohe Stahlnadel, die von riesigen Verankerungen gehalten wird.

Die Jahrhundert Halle

Markthalle

Der in der Nähe befindliche kleine Japanische Garten, für den sogar Eintritt bezahlt werden muss, entpuppt sich als drittklassiger Kurpark neben einer lauten Verkehrsstraße. Schnell weg hier!

Wieder mehr im Zentrum an einer Oderbrücke liegt die 1908 fertiggestellte aus roten Backsteinen gebaute Markthalle. Innen befinden sich unter den hochgeschwungenen parabolischen Stahlträgern die vielfältigen Verkaufsstände. Ein imposantes Bild, das man sich unbedingt ansehen sollte!

Aus der Halle heraustretend, sehe ich ein weiteres Highlight von Breslau: die Oderinseln. Neben der Dominsel und Sandinsel liegen noch zwei Kleinere. Sie sind durch teils moderne, teils sehr alte Brücken mit dem Festland oder auch untereinander verbunden. Auf der Dominsel liegen -- wie sollte es anders sein -- die Peter und Paul-Kirche und die kleine im gotischen Stil gebaute Martinskirche. Besonders fotogen ist die Brücke mit den gußeisernen Torbögen, die von der Sandinsel hier hinführt. Die Straßenbahn rattert gleich in der Nachbarschaft vorbei, lässt den Boden vibrieren und im Hintergrund sind Kaimauern und kleine geschwungene Steinbrücken zu sehen -- Klein-Venedig möchte man meinen.

Auf den Inseln befinden sich jede Menge prunkvoller, größtenteils klerikale Bauten. Auf der Sandinsel kann promeniert werden und zahlreiche Bänke laden zum verweilen ein. Das ideale Naherholungsgebiet! Im Sommer finden hier Musikfeste mit namhaften Künstlern statt (zum Beispiel Al Di Meola). Abends hockt auf der kleinen Nachbarinsel gleich eine ganze Hundertschaft schwarz gewandteter Jugendlicher aneinandergereiht wie eine schwarze Vogelschar auf dem Ufergeländer, raucht und trinkt ihr Bier... Breslau ist auch eine Universitätsstadt.

Oderbrücke Breslau Breslau

Wer sich ein Bild außerhalb dieser genannten Sehenswürdigkeiten machen will, sollte sich mindestens fünf Stunden Zeit für die Promenade am Festungsgraben nehmen und die gesamte Innenstadt umrunden. Von starkbefahrenen Straßen, Kaufhäusern, Museen und ruhigeren parkähnlichen Grünzügen mit einem kleinen Flussarm ist alles zu sehen. Am Ende dieses Ausfluges weiss ich, dass auch dieser Abstecher sich gelohnt hat.

Horst Blume

 

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